Einführung

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Nie wieder im Leben lernt der Mensch so schnell und so viel wie in den ersten drei Lebensjahren. Hilflos im extrauterinen Frühjahr ist der Säugling auf Schutz, emotionale Wärme und körperliche Pflege angewiesen. Doch schnell kommt das kleine Menschenkind auf die Beine und erfasst mit allen Sinnen die Welt. Die Kunst des Entwicklungsbegleiters ist, das richtige Maß zu finden, um Fördern und Fordern in ein entsprechendes Gleichgewicht zu bringen. Ein gutes Konzept, sowie geschulte Beobachtung der Entwicklung und der Bedürfnisses des Kindes sollen einen freien, individuellen und weit gefächerten Start in das junge Leben ermöglichen. Deswegen werden Eltern und Pädagogen auch Entwicklungsbegleiter genannt, die kein Kind in eine Richtung „er“-ziehen, sondern eine partnerschaftlich orientierte Erziehung anstreben, die Eltern und Tagespflegepersonen gleichwertig einbezieht.

Das Kind fordert und wird seinen Bedürfnissen, Interessen und dem eigenen Tempo entsprechend gefördert. Im regelmäßigen und respektvollen Dialog begleiten Eltern und Tageseltern das Kind. Das Kind erweitert mit zunehmender Entwicklung seinen Aktionsradius, den Erziehungsbegleiter sinnvoll und vielseitig zu gestalten wissen.

Das Konzept der professionellen Kindertagespflege ermöglicht Eltern schon vor der Anmeldung einen Einblick in die pädagogische Arbeit und ist damit ein wichtiges Entscheidungskriterium.

Qualität vor Quantität – Erfahrungswelten brauchen Tiefe.

Der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget bezeichnet den Aufbau der Wirklichkeit, der in den ersten Lebensmonaten stattfindet, als „Auffassung von Dingen in Form substanzieller, permanenter und in ihrer Dimension konstanter Objekte“ durch die die äußere Welt mittels Intelligenz konstruiert wird. (Stadium der Sensomotorischen Intelligenz (0–2 Jahre))

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Mein Konzept hat zum Ziel, dem Kleinkind bis zu seinem dritten Lebensjahr das Begreifen seiner natürlichen Umwelt und der elementaren Bedürfnisse im naturnahen Kontext und aus unterschiedlichen Perspektiven zu ermöglichen. Ich möchte keine künstliche „Kinderwelt“ schaffen, sondern Körper, Geist und Seele sollen sich im menschlichen Alltag und in freier Natur spielerisch, kreativ und fantasievoll entwickeln. Die frische Herstellung von Speisen, damit verbunden ein Wissen um die Herkunft von Lebensmitteln, sind wichtige Bausteine meiner Arbeit. Kreativarbeit, Puppen- sowie später das Rollenspiel sind weiterer fester Bestandteil des Tagesprogramms. Dem Alter und Temperament entsprechend wird Motorik durch Bewegung, Bewegungsspiel und Tanz gefördert.

Persönliche Motivation

Es ist nicht genug zu wissen –

man muss auch anwenden.

Es ist nicht genug zu wollen –

man muss auch tun (Goethe).

Ein Kleinkind darf in meiner Kindertagespflege den familiären Alltag im traditionellen Sinn erleben. Grund- und Bildungsbedürfnisse sollen im Sinnzusammenhang erlebt und nicht isoliert „unterrichtet“ werden. Die Kleingruppe einer privaten Kindertagespflege bietet ideale Voraussetzungen. Mit fünf Kindern ist die Gruppe klein genug, um individuelle Bedürfnisse zu befriedigen und groß genug, um einen sozialen Verbund innerhalb einer Altersgruppe (Freunde finden) zu bilden.

Kerngesunde Kinderküche

Die Herstellung von Nahrungsmitteln ist zentrales Thema meiner Kindertagespflege, das über die Küchenarbeit hinaus natürliche Zusammenhänge zu erklären sucht.

Nahrungsaufnahme sollte in keinem Lebensalter eine Nebensächlichkeit sein. In der U3-Phase wird darüber hinaus der Geschmackssinn nahhaltig geprägt. Das rasante Wachstum und die außerordentliche Entwicklung verlangen unbedingt gesunde Ernährung.

Von der Mutterbrust zur Tischkultur ist es ein begleitender Weg. Essen bedeutet Sinnlichkeit. Alle menschlichen Sinne werden durch Essen angesprochen. Bei der Ernährung der mir anvertrauten Tagespflegekinder beziehe ich mich in erster Hinsicht auf den

Arbeitskreis für Ernährungsforschung[2],

der eine vorwiegend vegetarische Kost auf Getreidebasis empfiehlt. Isolierte Kohlenhydrate (Auszugsmehl und Kristallzucker) finden keine Verwendung. Viele Rezepte finden Eltern und Interessierte in meinem Blog[3]. Hintergründe zu meiner Ernährungstheorie und -praxis finden sich in den von mir veröffentlichten Büchern:

Lebensmittel schonend zubereiten[4]

Fahrschule Ernährung[5]

 

Erziehung zur Freiheit

Ein Kind ist kein unbeschriebenes Blatt. Ob es aus dem „Kosmischen“ kommt und vor der Zeugung bereits Erfahrungen sammelt, mag man glauben. Es kommt auf jeden Fall aus einem belebten Mutterleib. Schon hier erfährt es Einwirkungen.

Beispiele: Die Mutter wünscht ein Baby; die Mutter ist verwirrt; die Mutter lehnt die Schwangerschaft ab. Ich werde an dieser Stelle nicht auf vorgeburtliche Einflüsse eingehen, möchte nur darstellen, dass es sie gibt.

Nach der Geburt erleben die zunächst hilflosen Babys unterschiedlich starke Bindungen an ihre Mütter. Wie nimmt die Mutter das Kind an? Stillt sie das Kind? Das Neugeborene erlebt die Mutter sowie deren soziales Umfeld und gewinnt Eindrücke von Nähe und Distanz.

Die Sinne sind so wach wie nie. Der Körper hingegen hilflos. Das anthroposophische Menschenbild gibt hier eine plastische Darstellung: ¼ des Körpers sind Kopf.

Wie ein Schwamm nehmen die Sinne alles auf. Der Körper reagiert darauf. Jede Zuwendung und jede Ablehnung sind im Gehirn gespeichert. Somit ergeben sich Erfahrungsräume, die spätere Verhaltensweisen mit bedingen:

Ein Kind, das eine enge Bindung an die Mutter/Umgebung/Familie usw. erfährt, reagiert auf eine Kindertagespflege anders, als ein Kind, dass Ablehnung erfahren musste und unsicher oder gar desorientiert gebunden ist.

Prägbares Alter

Im Alter zwischen 1 und 3 Jahren vernetzen sich die Synapsen im Gehirn. Nie wieder wird ein Mensch so schnell und so viel lernen.

Lernen funktioniert aber nicht nur über das Gehirn. Im Kleinkindalter funktioniert es über das Erleben: Berührung, Betrachtung, Erleben = be-rühren.

Mensch öffnet oder verschließt sich über die körperliche Berührung. Die Sinnesgeiste schlummern, werden grade geweckt. Wie in einer geistigen Umhüllung erfährt das Kind seine Umwelt und schlüpft ganz langsam aus seinem unsichtbaren Kokon. Anders gesagt: Ein Mensch steht ganz langsam auf und wundert sich, was jetzt und hier passiert.

Ein Baby kennt keinen Schnee, kein Wasser, keinen Wind und keine Erde. Alles muss erfahren/erforscht und be-griffen werden. Ein Kleinkind staunt über Farben, Materialbeschaffenheit, andere Wesen wie Blumen und Tiere, es schnuppert, leckt und schmeckt alles, was ihm in die Händchen kommt und es wiegt sich im Rhythmus von Melodien. Es ist ganz im Körper, die Sinne werden wach.

Es hat vor allem keine Ahnung, was ein Weihnachtsmann oder der Osterhase ist.

Gemäß der Annahme, dass die Sinne dem Körper folgen, muss man den Körper liebevoll pflegen, um die Sinne anzuregen. Dieser Grundsatz gilt vorwiegend für Säuglinge, die die Welt aus einer liegenden und unüberschaubaren Position wahrnehmen. Sie fühlen und können ihr Umfeld kaum betrachten. Die Sinne sind jedoch wach. Mensch fühlt, empfindet und katalogisiert die Empfindungen im Gehirn besser als jedes Amt.

Und schon jetzt beginnt der kleine Mensch zu re-/agieren. Protest, Wohlwollen – alle Empfindungen finden im Laut und in der Geste Sprache.

Erhebt sich der Mensch, fängt er an, die Situation zu überblicken.

Exkurs: Mit Grauen denke ich jetzt an jene Kinder, die in ein Bettchen gezwängt und im dunklen Zimmer alleine gelassen werden. Hier wird die Dramatik deutlich, die jede Form von Vernachlässigung nach sich zieht: Der kleine Mensch erhebt sich – und schaut in die Welt. Was er jetzt sieht, hört, riecht und schmeckt wird ihn nachhaltig berühren und prägen.

Tagespflege

Jeder Mensch wird in eine Gesellschaft geboren. Je nachdem, welche Weltanschauung die Herkunft vertritt, werden erste Normen und Regeln gesetzt, die möglicherweise völlig anders sind, als jene in meiner Tagespflege.

In der Kindertagespflege übernehme ich Kleinkinder im Alter zwischen 1 und 3 Jahren. Wenn diese Kinder bei mir „ankommen“, überschauen sie grade mal ihren eigenen Wirkungsumkreis: Sie krabbeln…, ziehen sich an Möbeln hoch…., umblicken einen Radius ihres Körpers…., können ggf. laufen und erweitern den Radius. Und obwohl sie noch so klein sind, haben sie schon eine Vorstellung von Welt: wie sie riecht, wie sie schmeckt, wie sie sich anhört und –fühlt. Viele Gefühle der Mutter bzw. der Herkunftsgesellschaft übertragen sich auf das Kind. Unsicherheiten der Mutter, wie Verlustangst bei der Übergabe an die Tagesmutter oder vor Hunden (in meinem Haus lebt ein kleiner Hund) werden vom kleinen Kind als Bedrohung empfunden. Wichtig ist deshalb das respektvolle Einfühlungsvermögen in Besonderheiten von Menschen und Kulturen. Nur bei gegenseitiger Achtung und Wertschätzung kann eine Entwicklungsbegleitung angst- und stressfrei für alle drei beteiligten Gruppen (Eltern + Tagesmutter + Kind) funktionieren.

Beispiele:

Ein hinduistisches Kind kann nicht ohne Schutz vor „bösen Geistern“ in Form von Bändern um den Körper in die Tagespflege. Es darf auch bestimmte Dinge nicht berühren, darf auf keinen Fall Schweine- und Rinderfleisch essen. Überhaupt gelten Regeln, mit denen die Europäische Kultur wenig zu tun hat.

Ein islamisches Kind muss „halal“ essen. Es reicht nicht, ein eigentlich sowieso „halal“ geköpftes Huhn auf den Tisch zu bringen. Halal muss wider dem europäischen Verständnis eigentlich religiös abgesegnet sein: Sprich, es braucht den Segen des jeweiligen Glaubenspatrons, wobei sich hier nochmals Unterschiede erweisen. An diese Normen und Regeln hat sich eine Tagespflegeperson aber unbedingt zu halten, um nicht den Gesetzen der Stammgesellschaft (Familie/Kultur) zu widersprechen.

Konzept und Betreuungsvertrag regeln vom Grundsatz her die Art und Weise der Betreuung und setzen damit Grenzen und Möglichkeiten.

Stimmen die Regeln und Normen der Kindertagespflegeperson nicht mit denen der Eltern überein, kommt es zu Diskrepanz, in deren Spannungsfeld immer das Kind steht. Eine harmonische Bildungsbegleitung ist im Konflikt schwer möglich. Eltern und Tagespflegeperson tun gut daran, sich zu beraten – bestenfalls mittels fachkundiger pädagogischer Hilfe von außen, wobei in der Kindertagespflege hier die Vernetzung hilft.

Glaubensfragen

Wir leben in einer christlich geprägten Gesellschaft mit multikulturellem Hintergrund. Grundsätzlich orientiere ich mich an traditionellen und saisonalen Gegebenheiten. Wir feiern demnach die christlichen Feste. Wir feiern auch den „Geburtstag“ des Frühlings, des Sommers, des Herbstes und des Winters.

Das ergibt keine Diskrepanz, da die Symbole der Feste (Tannenbaum, Eier etc.) nicht festgelegt sind.

Folglich können auch kulturfremde Kinder diese Feste begreifen. Das Thema „Gott und Götter“ überlasse ich der Herkunftsfamilie und stelle es nie in Frage. Die von mir aufgegriffenen Symbole weisen auf die sich verändernde Natur im Rhythmus der Jahreszeiten hin.

[1]Jean Piaget: Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde

[2] Arbeitskreis für Ernährungsforschung. Niddastraße 14, 61118 Bad Vilbel. http://www.ak-ernaehrung.de/

[3] www.qualifizierte-kindertagespflege.de

[4] Lebensmittel schonend zubereiten. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart 1999

[5] Fahrschule Ernährung. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart 2011

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